Wasserspirale

Ein Experiment zur Schaffung eines urban-ökologischen Wahrnehmungsraumes


Das Teilprojekt "Wasser in der Stadtlandschaft" beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie Eingriffe im Stadtraum - seien sie künstlerischer, architektonischer oder stadt- bzw. landschaftsplanerischer Art - auf ökologische Probleme aufmerksam machen können und ob sich darüber Rückwirkungen auf den Diskurs über nachhaltige Entwicklung in unseren Städten ergeben.
Letztes Jahr wurde vom Teilprojekt in Zusammenarbeit mit mehreren Künstlern eine Klanginstallation für Frankfurt entwickelt, die im Herbst für zwei Tage der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Reaktionen der Passanten waren gleichzeitig Gegenstand der Untersuchung. Astrid Wehrle erläutert in ihrem Beitrag den forschungstheoretischen Hintergrund der Untersuchungen und berichtet von den ersten Ergebnissen. Isabelle Faust führt in die Entstehungsgenese der -alles in allem- recht ungewöhnlichen Aktion ein und Jörg Landau beschreibt die Veränderungen in der Nutzung und Wahrnehmung des Platzes, auf dem die Klanginstallation durchgeführt wurde.
Im Gegensatz zu eher technisch orientierten Forschungsansätzen, gehen wir davon aus, daß ein nachhaltiger Umgang mit Wasser nicht so sehr ein technisches sondern vielmehr ein kulturelles Problem darstellt, d.h. etwaige Lösungsansätze auch kultureller Art sein sollten. Im Focus der Untersuchungen steht damit das Verhältnis des Menschen zur Natur, u.a. deshalb nennt sich das Gesamtprojekt auch WasserKultur.
Speziell zwei Aspekte stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit unseres Teilprojektes: "Welche Bedeutung hat Wahrnehmbarkeit von Natur, hier speziell das Wasser in der Stadt? bzw. Welche Bedeutung hat die Unsichtbarwerdung der Ver- und Entsorgungsstrukturen?" und "Welche Möglichkeiten gibt es für die gestalterischen Professionen - sei es nun die Architektur, das Design oder die Kunst - den öffentlichen Diskurs über nachhaltige Entwicklung durch ihre Arbeit zu befördern?"
 

Theoretische Vorüberlegungen

Daß Kunst bzw. gestalterische Eingriffe im weitesten Sinne in der Auseinandersetzung um die Ökologie der Stadt eine derartige Rolle spielen können, begründet sich zunächst durch einige theoretische Überlegungen. Über Entstehungsprozeß, Bedeutung und Rezeptionszusammenhänge (d.h. die Aufnahme des Werkes durch den Betrachter) von Kunst gibt es eine Fülle von theoretischen Arbeiten zum Teil auch ausgereiften Philosophien. Deren Schlußfolgerungen über die Wirkung von Kunst auf den Betrachter sind äußerst konträr. Interessanterweise gibt es kaum empirische Studien. Die wenigen Arbeiten, die zum Themenfeld vorlagen, beschäftigten sich ausschließlich mit Fragen der Rezeption und setzten mit ihren Untersuchungen meist erst nach der Installation ein, verfolgten somit nie den gesamten Prozeß der Kunstproduktion und -rezeption.
Im Rahmen der Untersuchung begründet sich das Interesse an der Kunst auf vier zentrale Überlegungen:

1. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit ökologischen Problemen beschäftigen, kennt ein breiteres Publikum aus verschiedenen Gründen selten direkt (Sprache, Adressaten, Detailorientiertheit, Spezialisierung der Kenntnisse, usw.). Die Ergebnisse, sofern sie in den öffentlichen Kenntniskreis einsickern, werden mediatisiert, d.h. über Dritte weitervermittelt, über Presse, Rundfunk oder Fernsehen oder auch von Politikern instrumentalisiert. Bei ökologischen Problemkomplexen münden die handlungspraktischen Anweisungen häufig in Sparappelle und Gebührenerhöhungen.

2. Diese - durchaus in Frage zu stellenden - Resultate treffen auf ein Publikum, dem die unmittelbare Erfahrung mit dem Problemgegenstand in den meisten Fällen fehlt, das Problem also weder persönlich noch sinnlich erfassen können. Die ökologische Frage ist derzeit - sei es nun rational oder emotional - vor allem ein medial vermitteltes Problem. Unter anderem deshalb, so unsere These, ist das, was man gemeinhin den Bruch zwischen Umweltbewußtsein und Umweltverhalten nennt, auch so groß.
Gleichzeitig ist das Reagieren auf Umweltprobleme in hohem Maße institutionalisiert: Behörden, Gesellschaften, Unternehmen haben den Umgang in großem Umfang "professionalisiert" ( Was nicht damit gleichzusetzen ist, daß sie damit professionell umgehen). Die Verantwortung des Einzelnen reduziert sich letztlich darauf, Anordnungen zu befolgen und die Kosten des "Umweltmanagements" zu tragen. Ein eigenständiges Agieren außerhalb des institutionellen Rahmens (wie z.B. städtischen Versorgungs-/Entsorgungswerken oder Naturschutzbehörden) ist nicht erwünscht, so daß individuelles Handeln immer auch mit einem Gefühl der Ohnmacht begleitet ist (Siehe auch den zähen Kampf von Stromeinzeleinspeisern gegen die Stromerzeugungsunternehmen).

3. Die Institutionalisierung und Veralltäglichung bestimmter Ver- und Entsorgungseinrichtungen ging einher mit einer Unsichtbarwerdung dieser Einrichtungen: Kanal-, Wasser-, Stromversorgungsnetze sind weitgehend unter der Erde und in den Häusern unter Putz. Die alltägliche Wahrnehmung z.B. der Wasserversorgung beschränkt sich auf die 30 cm zwischen Wasserhahn und Wasserabfluß. Die Mülldeponien sind außerhalb der Ortschaften, teilweise schon auf anderen Kontinenten.
Während in der Frühphase die Schaffung technischer Infrastruktur zugleich auch als wichtige gestalterische Aufgabe aufgefaßt wurde, weil sie die Bedeutung des Geschaffenen unterstrichen (Wasserwerke ebenso wie Kanaldeckel, die Wasserzuleitungen wie auch die Wassertürme usw.), entbehren die heute vorhandenen und sichtbaren "technischen" Einrichtungen zunehmend einer eigenen Ästhetik oder Gestaltqualität. Die Entsinnlichung, d.h. die Nicht-mehr-Wahrnehmbarkeit sowie die Entästhetisierung von Objekten der "technischen Infrastruktur" führt zu einer Ferne der Menschen zu den Dingen.

4. Die Kunst ist für eine Zusammenführung von Thema, Material und Sinnlichkeit aus ihrem gestalterischen Ansatz heraus besonders prädestiniert. Sie kann Emotion und Ratio über sinnliche Ereignisse ansprechen, weil sie als Gestaltungsaufgabe unsere Sinne anspricht, aber auch weil sie im gesellschaftlichen Kontext agiert und auf diesen reagiert.
Gleichzeitig sollte sich die durchgeführte Kunstaktion aber auch von der in der Stadt dominanten Waren- und Ereignisästhetik absetzen. Sie mußte sich geradezu gegenüber dieser behaupten, wenn sie nicht von den Rezipienten in diesen Rahmen eingeordnet und damit mißverstanden werden sollte. D. h. es wurde versucht, einen ökologisch-urbanen Erlebens-Raum zu schaffen.
 

Klanginstallation Wasserspirale

Die Klanginstallation Wasserspirale war von Anfang an ein Experiment - ein Feldexperiment, das zum Ziel hatte, mehr über die Entstehung und Wirkungsweise von Kunst im öffentlichen Raum zu erfahren, die Bedeutung von Wahrnehmbarkeit der Ressource Wasser sowie der Ver- und Entsorgungsstrukturen zu beleuchten und nicht zuletzt auch ein Versuch, eine neue WasserKultur zu praktizieren. Eine neue WasserKultur eben nicht in dem Sinn der Appelle und Verordnungen, des Wassersparens und Sich-verkneifens, sondern einer WasserKultur, die sich des Werts der Ressource bewußt ist und auf einem differenzierten Umgang mit ihr abhebt, in dem sie Wasser erlebbar und erörterbar macht.
Warum war diese Installation ein Experiment? Als erstes war ihre Entstehung Experiment. Eine Gruppe Wissenschaftler bestehend aus Architekten und Soziologen sammelte sich mit Künstler, Klangökologen und Klangdesigner (Beteiligt an der gesamten Aktion waren der Klangkünstler Andres Bosshard aus Zürich, der Künstler Bill Fontana, der zur Zeit in Paris lebt, die Biologin und Künstlerin Marianne Greve aus Hamburg, der Zeitdesigner Albert Mayr aus Florenz, der - wie er sich selbst gerne nennt - Allrounder im akustischen und visuellen Bereich Christian W. Neumann aus Wuppertal, der Künstler Walter Siegfried aus München, der Klangdesigner und Klangforscher Hans-Ulrich Werner aus Köln, und der Klangökologe Justin Winkler aus Basel) an einem Tisch, um darüber zu diskutieren, ob und wie Kunst einen Beitrag zur ökologischen Debatte, speziell zu der Frage des Umgangs mit dem Wasser, leisten kann. Weder eine gewöhnliche Fragestellung noch ein gewöhnlicher Workshop.
Die nächste Besonderheit und gleichzeitig der nächste Schritt in dem Experiment war zu sehen, ob es dieser so zusammengesetzten Gruppe gelingen kann, ein Installationsobjekt für ein spezielles Stück Frankfurt unter dem Motto "Wasser Klänge Stadt" zu entwickeln. Und zwar nicht jeder der Künstler für sich und zu Haus in seiner kreativen Kammer, sondern vor Ort und gemeinsam und im Dialog mit den Wissenschaftlern.
Zwischenergebnis dieses Teiles des Experiments war die Konzeption der Klanginstallation "Wasserspirale", ein Installationsobjekt, das sich in vieler Hinsicht auch von gewöhnlichen Skulpturen, Objekten oder Installationen unterscheidet.
 

Téchne

Die Grundidee der Installation ist, in der Ganzheit die Vielfalt darzustellen. Die "eine" Installation ermöglicht den verschiedenen beteiligten Künstlern, ganz unabhängig individuelle Beiträge zu machen, die dann wieder zu einem Ganzen kollagiert, kombiniert oder eben verbunden werden.
 

Tonmaterial:

Der musikalisch-klangliche Input bestand aus einer von den Künstlern produzierten CD, die bei einem Treffen im Juni 1994 im Aufnahmestudio der Gesamthochschule Universität Kassel zunächst als Masterband entstanden ist.
(CD / Inhalt:
1. "Sprechrauschen", 1´56, Walter Siegfried, 1994
2. "ZEIT-FLUSS - FLUSS-ZEIT", 4´28, Marianne Greve, 1992-93
3. "Bachplätschern", 3´43, Christian W. Neumann, 1994
4. "Wasservorhang in Madrid", 2´34, Hans U. Werner, 1994
5. "Kiribilli Wharf", 7´24, Bill Fontana, 1976
6. "Wohin?", 1´55, Walter Siegfried nach einem Text /Lied von Müller/Schubert, 1994
7. "Ein Aus", 0´64, Hans U. Werner, 1994
8. "Wassertropfen", 4´41, Andres Bosshard, 1994
9. "Elbesinfonie", 2´24, Marianne Greve, 1986-89
10. "Baseler Tinguelybrunnen", 1´37, Hans U. Werner/Justin Winkler
11. "Aus alten Märchen", 2´59, Walter Siegfried nach einem Text/Lied von Heine /Schumann, 1994
12. "Basel Zwei-Uhr", 2´00, Justin Winkler, 1991)
 

Physis:

Die Installation selbst besteht aus sogenannten "PET-Flaschen", wie sie in der Schweiz für nicht-alkoholische Erfrischungsgetränke handelsüblich sind, die mit einem recht einfachen Autolautsprecher bestückt wurden. Insgesamt 12 solcher Flaschen wurden spiral- bzw. fächerförmig um einen Mast installiert und damit der Raum beschallt. Weitere Lautsprecher in einiger Entfernung und in spezieller Ausrichtung zum umgebenden Raum bilden die Grundfärbung des Platzes.
 

Präsentation:

In diese "Installation" geben die beteiligten Künstler ihre individuellen Klänge ein, die jedoch nicht einzeln abgespielt werden. Mit 3 CD-Playern werden die Stücke überlagert. Die allesamt unterschiedlich langen Stücke ergeben ein ständig sich veränderndes Klangbild, das über verschiedene Kanäle durch den Raum wandert.
Es ist gleich und doch immer anders, die Veränderung ist gleichzeitig stetig und plötzlich.
Durch die Nutzung aller Lautsprecher wurde ein Raumklang geschaffen. Vordergrund- und Hintergrundtöne wurden bei der Installation über ein Mischpult gesteuert. Der Raumklang verstärkte sich noch durch eine spezielle zeitliche Verzögerung der Klänge vom linken zum rechten Kanal sowie die Einbeziehung der umgebenden "Platzwände", ja des Platz selbst in die Raumakustik. Wie der Künstler Andres Bosshard dies ausdrückt: "Es entstand ein Klangraum, der alle Geräusche und sonstige zufällige akustischen Ereignisse umfaßte."
 

Forschungsdesign

Die nächste Stufe des Experiments war die Installation vor Ort selbst und die wissenschaftliche Begleituntersuchung: Wie reagieren zufällig vorbeikommende Passanten auf die Installation? Dabei wurde sowohl im Hinblick auf Publikum und Ort darauf geachtet, eine relativ "durchschnittliche" städtische Situation zu betrachten. Aus einer Gruppe möglicher Orte wurde der Vorplatz der Kleinmarkthalle am Frankfurter Liebfrauenberg gewählt, ein transitorischer Raum, d. h. ein Raum, den die Menschen in der Regel durcheilen, um zu Zielen zu gelangen, die am Rande bzw. außerhalb des Platzes liegen: die Markthalle, Einzelhandelsgeschäfte, Cafés, Büros und Parkplätze oder Wohnungen.
Durchgangspunkt auf längeren Wegen zwischen weiter auseinanderliegenden Zielen ist der Platz aufgrund seiner Lage im Stadtraum eher nicht. Der Aufenthalt auf dem Platz wird durch verschiedene gestalterische Elemente unattraktiv gemacht, obwohl der Vorplatz einer Markthalle doch gerade zum Verweilen prädestiniert wäre.
Neben der wissenschaftlichen Begleitung des Entstehungsprozesses, lag der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Beobachtung und Analyse der Passantenreaktionen gegenüber der Klanginstallation. Dazu wurde zunächst in einer Vorstudie die übliche Nutzung des Platzes festgehalten und das Verhalten der Menschen beobachtet. Wie ist ihre Wegeführung, geradlinig oder nicht linear, durcheilen sie den Platz oder verweilen sie? Sind sie allein oder zu mehreren, ändert sich dadurch das Verhalten. Wie lange benötigen sie für eine Platzquerung? Diese Platzbeobachtung wurde mit zwei Videokameras durchgeführt, die an zwei Tagen während eines festgelegten Zeitrhythmus für jeweils fünf Minuten den gewählten Platzausschnitt aufzeichneten. Diese Aufzeichnungen wurden nach einem Kriterienplan ausgewertet.
Die Untersuchung wurde an den beiden Tagen der Installation wiederholt und ergänzt mit der Beobachtung des Verhaltens gegenüber der Installation, bei dem festgehalten wurde, ob und wie die Passanten sichtbar auf die Installation reagieren. Die Reaktionen wurden unterschieden nach:
- diffusen Reaktionen, d.h. Reaktionen, die zwar mit der Klanginstallation zusammenhängen können, aber nicht eindeutig mit ihr in Verbindung zu bringen sind,
-Aufmerksamkeitsreaktionen, wie das Kopfumwenden, das hinhören, hinschauen oder hindeuten,
-Aufmerksamkeitsreaktionen, die mit einem Stehenbleiben der Passanten verbunden waren
-und regelrechtem "Explorierverhalten".
Nicht zuletzt gab es zum Zeitpunkt der Installation eine Passantenbefragung.
 

Erste Ergebnisse

Da die Platzbeobachtung sowie die damit verbundene Videoauswertung sehr zeitaufwendig und deshalb noch in ihrer primären Auswertungsphase ist, sind die Aussagen hierzu als vorläufig zu betrachten. Erste qualitative Ergebnisse zeichnen sich jedoch ab:
Im Vergleich zur Nutzung des Platzes ohne Klanginstallation verlängerte sich die Verweildauer auf dem Platz, die Wegeführung ist zum Zeitpunkt der Installation weniger linear und die Installation selbst hat in erheblichen Umfang Aufmerksamkeit erregt.
Bis zur quantitativen Überprüfung können folgende Arbeitsthesen über die Raumnutzung aufgestellt werden:
1.Ein vormals transitorischer Raum wird von vielen erstmals als Platz wahrgenommen, den man auch anders betrachten kann als eine lästige Distanzfläche zwischen zwei Orten.
Dieses vorläufige Ergebnis wird auch durch Äußerungen von Beschäftigten der umliegenden Betriebe gestützt, die auf die positive Veränderung durch die Klanginstallation hinwiesen, zum Teil von einer regelrechten "Aufwertung" sprachen.
2. Ein zweites vorläufiges Arbeitsergebnis lautet: Durch die Installation selbst konnten in größerem Umfang Unterbrechungen, Irritationen im alltäglichen Handeln der Menschen erzielt werden, die gute Voraussetzungen bilden, Gegenstand einer Erörterung zu werden. Auch für diese These gibt es einen zusätzlichen unterstützenden Hinweis: die hohe Bereitschaft der Passanten, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen.
Bei der Passantenbefragung wurden in 180 Gesprächen insgesamt 239 Personen angesprochen; lediglich 18 verweigerten ein Interview (7,5%). Von den 239 angesprochenen Personen haben 183 die Installation nachprüfbar bemerkt, mehr als 2/3 aller Angesprochenen. Keiner der Interviewten machte Andeutungen dazu, daß er durch irgendeine Quelle im Vorfeld der Installation bereits informiert war. Das war deshalb wichtig, weil ein relativ unvorbereitetes Publikum angetroffen werden sollte.
Die Aussagen wurden nach sechs Fragen ausgewertet:
1. Wissen die Passanten eigentlich, was sie hören, können sie es (wieder)erkennen und benennen?
2. Verbindet sich das Gehörte mit irgendwelchen Assoziationen, wird es also gedanklich verortet?
Und weitergehend:
3.Lösen sich die Assoziationen von dem Gehörten, d.h. lassen die Klänge Bilder entstehen? Welcher Art sind diese Bilder?
Außer den oben genannten Kategorien, die mit den Kurzbegriffen: Identifikation, gebundene bzw. freie Assoziationen bezeichnet wurden, gibt es in den Gesprächen
4. Beurteilungen verschiedener Art, wie "schön", "angenehm" oder auch "Blödsinn"
sowie
5. Interpretationsversuche; dazu gehören Aussagen wie: "das muß etwas mit der Umwelt zu tun haben", oder: "die Klänge verdeutlichen den Kontrast von Stadt und Land".
6. In der letzten Kategorie wurden Aussagen zusammengefaßt, die Hinweise auf Verständnisblockaden geben bzw. solche zum Ausdruck bringen. Dazu gehören Aussagen wie: "Sie kommen sicher vom Hessischen Rundfunk" oder "Wer zahlt das alles?", d.h. es sind Aussagen, die andeuten, daß eine Auseinandersetzung mit der Installation selbst nicht mehr möglich bzw. erschwert ist.
Ca. 80% aller befragten Personen äußern sich in irgendeiner Form zur Installation (d.h. eine odere mehrere Aussagen innerhalb der ersten fünf Kategorien). Grenzt man in der Betrachtung diejenigen aus, die ein Interview verweigerten bzw. die Installation nicht bemerkt hatten, reduziert sich der Anteil derjenigen, die sich nicht zur Installation äußerten, auf ca. 5%.
Die meisten Äußerungen fielen (neben den Beurteilungen) zu den ersten drei genannten Begriffsgruppen: Identifikation, gebundene Assoziation und freie Assoziation. Diese sollen im weiteren noch einmal genauer betrachtet werden, da hier die Bestimmung und die gedankliche Verortung der Aktion durch die Passanten besonders deutlich wird.
 

Identifikation (Kategorie 1)

Identifikationen, die sich auf das Klangereignis beziehen, sind Begriffe wie "Töne", "Rauschen" oder "Gluckern" usw. In dieser Kategorie werden insgesamt 123 Begriffe genannt, das sind ungefähr 0,5 pro Befragten. Ca. 40% aller befragten Personen nannten in dieser Kategorie einen Begriff. Die genannten Begriffe lassen sich in vier große Untergruppen einteilen:
- Geräuschbegriffe, also Begriffe, die als Wortbestandteil Geräusch enthalten, "metallische Geräusche" also ebenso wie das Wort "Geräuschkulisse",
- musikalische Verweise, das sind Begriffe wie "Musik" aber auch "Sänger" oder "Melodie",
- Worte mit lautmalerischem Charakter wie "blubblubblub", "gluckern" oder "krachen",
- sonstige akustische Ereignisse, darunter verbergen sich Begriffe wie "Klänge" oder "Töne".
Betrachtet man die in diesen Untergruppen genannten Begriffe im Einzelnen, fällt auf, daß vor allem abstrakte Begriffe vorherrschen. Sie machen ca. 3/4 aller Worte im Feld Identifikation aus. D.h. es scheint den Interviewten zunächst einmal schwer zu fallen, das Gehörte wirklich zu bezeichnen, es ist fremd, ungewohnt - kaum wirklich zu identifizieren. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn berücksichtigt wird, daß die genannten Begriffe des öfteren mit Adjektiven wie "seltsam", "komisch" oder "undefinierbar" ergänzt werden.
Ganz offensichtlich stand mit der Klanginstallation den meisten Menschen etwas gegenüber, das für sie begrifflich nicht konkret identifizierbar war.
 

Gebundene Assoziationen (Kategorie 2)

In der zweiten Kategorie wurden alle die Begriffe zusammengefaßt, die eine Identifikation mit einer Assoziation verbinden, d.h. sie gedanklich oder eben assoziativ verorten: also nicht nur "Musik", sondern z.B. "Urwaldmusik". Die Assoziation ist aber noch wesentlich an die Klanginstallation gebunden. Dieses Wortfeld ist mit 78 Nennungen bzw. 0,3 pro Person deutlich kleiner. 27% der befragten Personen nannten Begriffe.
Legt man ein ähnliches Grundmuster der Auswertung wie bei den Identifikationen an, d.h. versucht man die Begriffe nach Gegenstandsbereichen zu gliedern, erhält man sieben Begriffsfelder, von denen keines dominant ist.
Will man in dieser Gruppe eher den assoziativen Charakter unterstreichen, lohnt sich eine andere Begriffsordnung, die sich mit drei zentralen Begriffen bezeichnen läßt: Wasser, Natur und Musik, d.h. viele der mit den Identifikationen verbundenen Assoziationen deuten in zwei Richtungen, die im assoziativen Bereich ebenfalls verstärkt wiederzufinden sind: die Natur und das Wasser.
 

Freie Assoziationen (Kategorie 3)

In der dritten Wortfeldgruppe, den freien Assoziationen, wurden die Begriffe zusammengefaßt, die sich vom Klangeindruck lösen. Hier gibt es insgesamt 124 Begriffe, also etwa 0,5 Begriffe je Person. 33% der Personen nannten Begriffe .
Im Gegensatz zu den ersten beiden Kategorien gibt es eine außerordentlich große Gruppe thematisch nicht zusammenfaßbarer Begriffe. Es sind ca. 1/3 aller Nennungen. Jeweils ca. ein weiteres Drittel sammelt sich unter den Oberbegriffen "Wasser" und "Landschaften".
Was verbirgt sich hinter diesen "zunächst nicht zusammenfaßbaren Begriffen"? Um den Verschiedenheitscharakter der Worte zu illustrieren, seien hier ein paar Beispiele genannt: "Urlaubsgefühle", "Tierpark", "Baustelle", "Gefühle der Kontemplation", "Tarzan", aber auch persönliche Erfahrungen und Erlebnisse werden durch die Klänge aktualisiert. Dieses letzte Drittel der Begriffe sind so etwas wie "individuelle Fenster", die durch die Klänge geöffnet werden.
Begibt man sich jedoch auf eine höhere Abstraktionsebene, lassen sich sowohl die beiden Hauptgruppen als auch die dritte individuelle Gruppe in einem Begriffsfeld mit den Eckpunkten "Natur" (68%),"Technik" (14%), "Kultur" (10%) und "Emotionales" (8%) zusammenfassen.
 

Resümee

Was heißt das nun für die Untersuchung?
Ohne auf weitere Ergebnisse im Einzelnen zurückzugreifen, kann zunächst festgehalten werden, daß die Menschen zum Zeitpunkt der Klanginstallation ihr Raumverhalten verändern. Ein transitorischer Raum wird erst eigentlich zum Platz, die Menschen können ihn neu entdecken und entdecken ihn zum Teil auch neu.
Die Installation erregt eine hohe Aufmerksamkeit. Das zeigen nicht nur die Platzbeobachtungen, sondern auch die Interviews. Obwohl das Ereignis ebenso wie die Klänge den Menschen äußerst fremd sind, sie beides sprachlich kaum beschreiben können, macht sie die Menschen dennoch nicht sprachlos. Zwar weisen die Begriffe im Feld der Identifikationen auf eine gewisse Unfaßbarkeit / Unbeschreibbarkeit des Gehörten hin, aber dieses Fremde verschließt dennoch nicht die Assoziationwelt.
Beide Aspekte, die Rückführung eines Platzes zu einem kommunikativen Raum, wie auch die Schaffung eines Kommunikationsgegenstandes und zwar nicht für Spezialisten, sondern für ein 'durchschnittliches', nicht vorinformiertes Publikum, scheinen gute Voraussetzungen zu schaffen, einen öffentlichen Diskurs über nachhaltige Entwicklung zu initiieren. Dies ist natürlich nicht mit einer einmaligen, zweitägigen Aktion zu gewährleisten. Vielmehr müßte eine gewisse Dauerhaftigkeit dieses künstlerischen Eingriffes in die Stadt gegeben sein. Der Eingriff selbst hat neben vielen anderen Aspekten vor allem einen Vorteil, daß das "Werk" nicht in sich geschlossen ist. Der Input kann sich ändern bzw. geändert werden und macht so die Installation selbst öffentlich und diskursfähig.

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