Sinneskompetenz / Medienkompetenz

Über die Notwendigkeit des Hören-Lernens

Vortrag vor dem Verband Deutscher Tonmeister
International Convention on Sound Design 2002 

Einspielung - Take 2

Karl Karst "Schule des Hörens: Das Ohr" (HR 1997) 

Textteil

"Hören ist ein Prozeß der Weltwahrnehmung.
Es verändert sich mit der Veränderung der Welt.
Musik ist die Antwort auf die akustischen Erscheinungen der Zeit.
Musik ist eine mathematische Kunst.
Das Ohr ist ihr Rechenstab.
(...)
Die Hölle - der Lärm...
Und das Schweigen? ... der Tod!"

1998, zur 20. Tonmeistertagung in Karlsruhe, habe ich dem damals anwesenden Zuhörerkreis von den ersten Gehversuchen des "Projektkreises Schule des Hörens" berichtet, der sich 1996 als gemeinnütziger Verein mit 60 Mitgliedern aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich gegründet hat. Man kann im Programmbuch der damaligen Tagung nachlesen, was ich darüber hinaus zu den Grundlagen des Hörens und zur Notwendigkeit des Hören-Lernens gesagt habe. Dass es eine "Schule des Hörens" geben sollte, ist heute nicht mehr wirklich begründungsbedürftig. Die Resonanz auf Idee und Forderung einer "Schule des Hörens" hat deutlich gezeigt, dass sie einer gesellschaftlichen Notwendigkeit entsprechen.

"Schule des Hörens" bedeutet nicht, dass wir das pure Hören, das Perzipieren lernen sollten, sondern dass wir - möglichst schon im Kindesalter - spürbar erfahren, wie wichtig das Hören für unseren Lebensalltag ist, welche Bedeutung es hat, wie es funktioniert und wie wir das Zuhören pflegen können: Erkenntnisschulung und Sinnestraining zugleich.

Ich möchte mich in meinem heutigen Vortrag auf die zwischenzeitlichen Schritte der Umsetzung der Idee einer "Schule des Hörens" konzentrieren und Sie über den Fortgang des Projektes informieren. Die Chronologie ist kurzgefaßt die folgende. 

Entwicklungschritte der "Schule des Hörens"

(mündlikch ausformuliert, hier tabellarisch)

Okt. 1990 Konzeption einer Sendereihe "Schule des Hörens" für die Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks (Red.: Dr. Christoph Buggert)

Mai 1993 Erste öffentliche Präsentation der Idee einer "Schule des Hörens":
Symposion "Die Zukunft der Sinne: Die Töne und das Hören"
Bundeskunsthalle Bonn: Vortrag "Geschichte des Ohrs. Eine Chronologie"

Aug. 1993 Präsentation "School of Hearing" beim World Forum of Acoustic Ecology
The Banff Centre for The Arts, Canada

März 1994 "Schule des Hörens. Das Ohr - Eine Erkundung"
in der Evangelischen Akademie Baden, Bad Herrenalb: Der Verlust der Stille

Dez. 1996 Gründung des gemeinnützigen "Projektkreises Schule des Hörens e.V."

Mai 1997 Einrichtung der Internetdomain "Schule des Hörens"
(heute unter: www.schule-des-hoerens.de)
seit 1994 Einrichtung von Blockseminar-Veranstaltungen "Schule des Hörens"
am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Leipzig

Juni 1997 Erstes Seminar-Wochenende "Schule des Hörens"
Evangelische Akademie Baden, Bad Herrenalb

Juni 1997 Ursendung "Schule des Hörens: Das Ohr", Hessischer Rundfunk und Radio Bremen, Radiopuzzle in zwei Teilen

Okt. 1997 Verleihung des Publizistik-Preises der Fördergemeinschaft Gutes Hören für
"Schule des Hörens: Das Ohr"

Okt. 1997 Eröffnung der Veranstaltungsreihe "HEAR.ing" (bis 2001)
im Stadtgarten Köln (Jazzhaus e.V.) mit Konzerten und
Diskussionsveranstaltungen zum Thema Hören und Klangkunst

Okt. 1998 Ausstellung "RADIO HISTORICA" zum 75jährigen Jubiläum des Rundfunks Internationales Radiomuseum Necker in Bad Laasphe, mit dem Kreis Siegen-Wittgenstein, der Universität GH Siegen, dem DRA und dem WDR

Nov. 1998 Erstes NRW-Hörfestival "BLIND DATE" im MediaPARK Köln
Sinneserlebnisräume: Hör-Bar, Klanginstallationen, Hör-Spiel-Räume, Workshops
Im Rahmen des NRW-Wettbewerbs "Jugend macht Radio"

Mai 1999 Entwicklung "Olli Ohrwurm und seine Freunde: Schule des Hörens für Kinder" im Auftrag des Bayerischen Gesundheitsministeriums (mittlerweile an alle Kindergärten Bayerns sowie an die 1. und 2. Klassen der Bayerischen Grundschulen kostenlos verteilt und in 3. Auflage erschienen)

1999-2000 Expertenrunde "Lärm" des Bundesgesundheitsministeriums
Anregung zur Gründung einer interessensübergreifenden "Stifung Hören"

02.03.01 Gründung "Initiative Stiftung Hören" auf Anregung der Schule des Hörens
mit: Deutscher Kulturrat, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deutsche Gesellschaft für Akustik, Deutscher Schwerhörigenbund, Deutsche Tinnitus-Liga, Verband Deutscher Schulmusiker, Verband Deutscher Tonmeister und anderen.

März 2001 Erster Messe-Themenstand "Hören", Hörbuchzentrum Leipziger Buchmesse
Initiative Stiftung Hören, Schule des Hörens, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deutsche Tinnitus-Liga und Medienstudiengang Universität GH Siegen

24.03.01 Podiumsdiskussion: "Stiftung Hören - eine Offensive für das Ohr"
Congress Centrum Leipzig, u.a. mit Prof. Dr. Eckart Lange (Präsidium des Deutschen Musikrates), Prof. Dr. H.-P. Zenner (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer / Hörforschungszentrum Tübingen), Prof. Karl Karst (WDR), Klaus Hausmann (Deutsche Tinnitus-Liga), Dr. Manfred Kammer (Universität Siegen)

April 2001 Einrichtung der Internetdomain: www.stiftung-hoeren.de

Sept. 2001 Geplante 1. Pressekonferenz des Initiative Stiftung Hören im Bundesverband der Deutschen Stiftungen in Berlin - wegen der Terroranschläge des 11. September abgesagt.
Das vorbereitete Grußwort der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt u.a. mit dem folgenden Statement: "Hier scheint mir die hier heute vorgestellte Initiative Stiftung Hören ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Statt mit dem Zeigefinger zu drohen, will sie zu einem gesellschaftlichen Diskurs beitragen, den ich für ganz wichtig halte: Was ist gutes Hören? Was hören wir gerne? Wo läuft die Grenze zwischen einem guten Hören z.B. durch Musik und dem schädigenden Hören, wenn sie zu laut ist? Was brauchen die Ohren unserer Kinder, um auditiv so angeregt zu werden, dass sie alle damit verbundenen Fertigkeiten der Kommunikation erlernen können? Aber Hören ist nicht nur Kommunikation, sondern auch Kultur. Was bedeutet gutes Hören für den Umgang gesellschaftlicher Gruppen miteinander? Was kann hier getan werden? Wie kann man den Gedanken vom guten Hören in die Bevölkerung tragen? Wie können wir für diese Gedanken die Ohren öffnen? Bei mir jedenfalls haben Sie ein offenes Ohr gefunden. Ich grüße die Initiative Stiftung Hören und wünsche ihr auf ihrem Weg zu einer gesellschaftlich relevanten Institution, die sie ohne Zweifel werden muss und wird, alles Gute und viel Erfolg."

Okt. 2001 Präsentation "Hörbar" auf der "Science Street" (Lebenswissenschaften) Köln
Projekt des Hörforschungszentrums Tübingen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Nov. 2001 Präsentation Forum Kinder-Umwelt und Gesundheit in München
Projekt des Bundesgesundheits- und des Bundesumweltministeriums mit
Auftrag zur Produktion einer interaktiven Medienpräsentation für Kinder, gefördert aus Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums

März 2002 Zweiter Messe-Themenstand "Hören", Hörbuchzentrum Leipziger Buchmesse
durch die Initiative Stiftung Hören, die Schule des Hörens, die Deutsche Tinnitus-Liga und den Medienstudiengang der Universität GH Siegen
Installation interaktiver Terminals für Kinder und Jugendliche
CD-Rom "Open Ears" der Initiative Stiftung Hören

Sept. 2002 Europäischer Tinnitus-Kongress Köln
Themenstand der Initiative Hören durch die Schule des Hörens und den Medienstudiengang der Universität GH Siegen
Präsentation "Olli Ohrwurm und seine Freunde"

Dez. 2002 Bevorstehende Pressekonferenz des Deutschen Kulturrats zur
Vorstellung der Kooperation von Stiftung Lesen und Initiative Hören
Im ARD-Hauptstadtstudio Berlin mit den Botschaftern der Initiative Hören


Ich freue mich sehr, Ihnen mit dem letztgenannten Hinweis die Nachricht übermitteln zu können, dass Bundessozialministerin Ulla Schmidt, WDR-Intendant Fritz Pleitgen und Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates, in wenigen Wochen in Berlin als Botschafter die "Initiative Hören" und ihre Kooperation mit der Stiftung Lesen der Öffentlichkeit präsentieren werden. Aufgabe der politischen Plattform aus Vertretern des Gesundheits-, Kultur- und Medienbereichs ist es, sowohl die pädagogische als auch die gesundheitliche und die kulturelle Bedeutung des Hörens in den Fokus der Öffentlichkeit zu heben. Die Initiative Hören hat sich zum Ziel gesetzt, für das Hören in seiner gesamten Komplexität zu sensibilisieren. 


Grundsatz "Prävention durch Faszination"

"Prävention durch Faszination" lautet der Grundsatz der Schule des Hörens, der besagt, dass wir nicht mit dem Zeigefinger Veränderungen hervorrufen können, sondern es mit Begeisterung und Aufklärung versuchen sollten. Umgesetzt wurde dieser Grundsatz sehr erfolgreich in der "Schule des Hörens für Kinder", die das Bayerische Sozial- und Gesundheitsministerium beauftragt hat und die unter dem Titel "Olli Ohrwurm und seine Freunde" in mittlerweile 12.000 Exemplaren an alle Kindergärten Bayerns sowie an Musik- und Grundschulen kostenlos verteilt wurde. Es handelt sich dabei um einen aufwändig gestalteten Material-Ordner mit 128 Seiten Informationen, Kopiervorlagen, Spielvorschlägen und Vorlese-Geschichten sowie zwei Audio-CDs mit Liedern, Hörspielen und Geräuschen. Angesichts der Herstellungskosten ein nicht unerhebliches und anerkennenswertes Engagement, das jedoch belohnt wurde: Olli Ohrwurm erlebte innerhalb des ersten Jahres drei Auflagen. Das beauftragende Ministerium hat zuvor keine Publikation erlebt, die ein solch uneingeschränktes und andauernd positives Echo hervorgerufen hat.

Das Faszinierende der hörbaren Welt sinnlich erlebbar zu machen und damit die Bedeutung des Ohrs und des Hin- und Zuhörens zu vermitteln, darauf zielt die Schule des Hörens. Sie möchte faszinieren für die eigenen Sinne. Sie möchte eine Faszination wecken, die Respekt vor den Sinnen und zugleich Vertrauen in sie weckt - und damit letztlich auch das Vertrauen in sich selbst stärkt. "Prävention durch Faszination" bedeutet: Sinnlich und bleibend (man sagt heute: nachhaltig) zu vermitteln, wie bedeutsam das Gehör (und auch die übrigen Sinne) für uns sind. Wer erfahren hat, wie faszinierend und wunderbar das Ohr ist, wird es vor leichtfertiger Beschädigung schützen. Wer sinnfällig erlebt, wie sehr wir in jeder Sekunde unseres täglichen Lebens durch das Hören geprägt sind, wer weiß, was das Ohr alles tut und wie lebensnotwendig das Gehör in unserem Alltag ist, der wird sich hüten, es zu verlieren. 

Einspielung - Take 19 (Hörtest Konzert) aus

Karl Karst "Schule des Hörens: Das Ohr" (HR 1997) 

Grundsatz "Sinneskompetenz vor Medienkompetenz"

Der zweite Grundsatz der "Schule des Hörens" lautet: "Sinneskompetenz vor Medienkompetenz", wobei die Anleitung zur Sinneskompotenz immer zugleich eine Umsetzung des ersten Grundsatzes, "Prävention durch Faszination", ist: Wenn ich weiß, was mein Ohr (man kann es fortführen: Auge, Nase, Hand, Haut, usw.) alles kann, werde ich es so schnell nicht schädigen. Wenn ich weiß, was mein Gehör schädigt, werde ich es besser schützen... Nichts hilft mehr als das Wissen um die Möglichkeiten - und die Gefahren...

Medienkompetenz heißt das seit Jahren bemühte und staatlich geförderte Schlagwort. Von Sinneskompetenz, die ich für eine unabdingbare Voraussetzung für den kompetenten, d.h. aktiven (und nicht nur passiven) Umgang mit den Medien unserer Zeit - also letztlich nicht nur für Medien-, sondern auch für Gesellschaftskompetenz - halte, ist bislang noch viel zu selten die Rede.

Es scheint mir nicht unbedeutsam, die Einbindung der Sinneskompetenzbildung in den schulischen und außerschulischen und auch in die berufliche Ausbildung zu fordern und die Entwicklung von Schulungskonzepten zu befördern, die unsere Lehrer und Ausbilder mehr und mehr in den Stand versetzen, Auge und Ohr nicht nur als Kopf-Öffnungen für den Wissensinput zu nutzen, sondern sie auch selbst - als faszinierende und eigenwertige Instrumente der Welterfassung - zum Gegenstand ihrer Vermittlung zu machen.

Hören und Sprechen bilden die Basis jeder menschlichen Kommunikation. Sie bilden auch die Grundlage unserer Medien-Interaktion, die mehr und mehr audio-visuell (und nicht mehr nur optisch) vonstatten geht. "Sinneskompetenz" steht damit notwendigerweise am Anfang einer Kompetenzschulung, die Medien- und Lebenskompetenz zum Ziel haben will. "Sinneskompetenz" sollte demnach auch und gerade dort am Anfang der Ausbildung stehen, wo sich das Berufsziel in unvergleichlicher Weise auf das Hörenkönnen und Hörenmüssen (manchmal mehr als man mag) bezieht - in der Ausbildung des Tonmeisters.

Das Land NRW hat in den Jahren 2001 und 2002 eine Evaluierung der Ausbildungsgänge der NRW-Musikhochschulen vorgenommen und dazu eine Musikkommission berufen, in der ich Mitglied sein durfte. Es war mir ein großes Anliegen, in dieser Runde auf die Einführung von Pflichtveranstaltungen zu drängen, die sich mit der Physiologie und der Psychologie des Hörens beschäftigen. Ich freue mich, dass diese Anregungen in das Gutachten eingeflossen sind - wenngleich dies (leider) nicht zangsläufig bedeutet, dass ministerielle Konsequenzen daraus gezogen werden. Dabei halte ich es für dringend geboten, dass gerade diejenigen, die beruflich Tag für Tag mit dem Hören beschäftigt sind, Grundkenntnisse der Physiologie und Psychologie des Hörens aufweisen sollten. Musiker gehören zu den am häufigsten geschädigten Berufszweigen.

Sinneskompetenztraining ist keine aufwändige Sache. Sie bedarf aber der festen Implantierung in die Ausbildungsstrukturen, wenn sie breite Wirkung haben soll. Eine Wirkung, die auch den Zustand der Lärmbelästigung unserer Umwelt langfristig verändern wird. - Ich bin mir sicher, dass sich die Lautheit unserer akustische Umgebung, die Klangegestalt von Industriegeräten, die Reflexionsstärke von Museum und vieles mehr, was uns heute unzureichend erscheint, verändern wird, wenn es langfristig mehr und mehr Architekten, Industriedesigner, Staßenbauer, Städteplaner, Handwerker und Bauarbeiter gibt, die tatsächlich wissen, dass sie Ohren haben... und wozu sie da sind und was ihnen gut tut und was nicht...  

Einspielung - Klanginsel Kühlschrank aus

Karl Karst "Schule des Hörens: Das Ohr" (HR 1997)

Schall betrifft und trifft nicht nur unser Gehör, sondern unser gesamtes Nervensystem, unser gesamtes biologisches Gefüge: Schon ein kurzzeitiger Schallimpuls von etwa 80 Dezibel (Hupe, Wohnungsklingel) führt zu Veränderungen im vegetativ-hormonellen System: Die Nebenniere schickt vermehrt Hormone in die Blutbahn, die Gefäße verengen sich, der Blutdruck und die Pulsfrequenz steigen an, die Hautdurchblutung geht zurück. Magenaktionen verringern sich, der Stoffwechsel schnellt in die Höhe, die Speichelbildung geht zurück, die Muskelspannung nimmt meßbar zu.Ich habe schon oft die folgende Geschichte erzählt (aber da sie in diesem Kontext noch neu ist, darf ich sie hier noch einmal wiederholen): Als ich Anfang der neunziger Jahre einen neuen Kühlschrank benötigte, bestellte ich ein FCKW-freies, umweltfreundliches Gerät. Als es geliefert wurde, war ich glücklich: Einen neuen, umweltschonenden Kühlschrank hatte ich gekauft und dafür eine kleine Wartezeit und höhere Kosten in Kauf genommen. Ich ging schlafen und war zufrieden. Als ich am nächsten Morgen jedoch bemerkte, dass der Kühlschrank ein hohes Sirren von sich gab und im Vergleich zu meinem alten (umweltschädlicheren) Kühlschrank regelrecht "laut" war, sank meine Zufriedenheit erheblich.
Ich rief den Händler an, der mir einen Fachberater vorbei schickte, der mit einem Lärmmeßgerät kam, maß und sagte: "Tut mir leid, das liegt noch unterhalb der zulässigen Grenze!" Ich bot ihm eine Tasse Kaffee an und bat ihn, mir zu erklären, woran es läge, dass mein neuer, umweltfreundlicher Kühlschrank wesentlich lauter und hochfrequenter sei als mein alter, weniger umweltfreundlicher. "Herr Karst", sagte er mir: "Sie sind nicht der einzige, der sich beklagt hat!" - "Ach, da bin ich aber beruhigt..." - "Ja, was meinen Sie, warum uns unsere Firma mit diesen Meßgeräten ausgestattet hat?" - "Interessant!", sagte ich, "aber was ist die Ursache?" - "Eigentlich ganz einfach", sagte der Fachberater, "die neuen, umweltfreundlichen Geräte haben nur noch halb soviel Kühlflüssigkeit wie die alten, verfügen aber noch über den gleichen (kleinen) Kompressor. Der muss nun wesentlich öfter und schneller laufen als bei Ihrem alten Gerät zuvor." Voilá!

Warum ich diese Geschichte erzähle: Jeder noch so kleine Kratzer, den ich nur gebückt und auf dem Boden liegend rechts unten in der Ecke an meinem neuen Kühlschrank entdecke, würde ausreichen, das Gerät als "schadhaft" umzutauschen. Ein Geräusch aber, das mich durch die Türen, durch die Wände, Tag und Nacht, immer und immer wieder "berührt", auch wenn ich nicht direkt vor dem Verursacher, meinem Kühlschrank, stehe - hat weit geringeren Wert. Was schlecht aussieht, ist reklamierbar, was sich störend oder sogar schädlich anhört, ist ein Problem der Ohren, oder?

Das Ohr ist unser Warn- und Zeitsinn. Es warnt uns, schaut für uns nach hinten, sondiert die Umgebung rundherum, Tag und Nacht, ob wir schlafen oder wach sind. Das Ohr ist unser Rückspiegel, wenn wir Fahrrad fahren, es beobachtet die Umgebung in 360 Grad, es weckt uns am Morgen - und es ist eben nicht eine Lichthupe, die uns aus dem Bett holt, sondern ein akustisches Signal!

Kaum ein Kind, kaum ein Jugendlicher und auch nicht jeder Erwachsene weiß von der Bedeutung des Gehörs für den Alltag für das tägliche Leben. Kaum ein Kind und nur der ein oder andere Jugendliche kann ermessen, was der Verlust oder die Einschränkung dieses Sinnes wirklich bedeutet... Aber die volkswirtschaftlichen Folgen der Behandlungsbedürftigkeit von Hörschädigungen sind erheblich. Deshalb muss etwas getan werden - über Aufklärung und Begeisterung.

Der erhobene Zeigefinger, die Androhung von Strafen oder die augenscheinlich erschreckende Vorführung von Schäden haben bislang keine Verbesserung erzielt. Wir brauchen Schulung, wir brauchen Information, wir brauchen sinnliche Erfahrungsmöglichkeiten - und das von Kindesalter an.

Lernziel Sinneskompetenz: Kompetenz im Umgang mit den eigenen Sinnen als Voraussetzung für eine Kompetenz im Umgang mit den (multimedialen) Medien unserer Zeit! Wir haben in der Schule gelernt, wie das Lesen und wie das Schreiben geht. Der Ausbildung dieser letztlich visuellen Fähigkeiten gilt seit jeher das didaktische Bemühen. Hören und Sprechen dagegen sind bis heute eher Randerscheinungen des curricularen Unterrichts - und auch der beruflichen Ausbildungspraxis.

Bei einem Tonmeister ist die "Sinneskompetenz Hören" zweifellos besonders ausgeprägt. Sie bildet die unabdingbare Voraussetzung seines Berufs und ist sein aktives "Kapital". Gerade deshalb sollte der Umgang mit dem kostbaren "Sinnes(hand)werkzeug" Ohr besonders gepflegt und immer wieder überprüft werden. Hierzu geeignete Konzepte zu entwickeln und frühzeitig umfassende Wissensvermittlung zu ermöglichen - dafür gilt es, sich in Zukunft verstärkt zu engagieren.

Ich danke Ihnen! 

© KARL KARST 2002

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