American Radio Soundscapes

erschien als Heft mit CD im August 1997


MUK-Reihe der Universität Siegen
herausgegeben von Hans Ulrich Werner zusammen mit Uli Tobinsky, Tanja Hemm, Michael Dainard und Jim Metzner
 

Vorwort


Studs Terkel, Tony Schwartz und Jim Metzner gehören im Radio in die Klasse der Master Minds, wie sie der Literat Richard Kostelanetz 1969 in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat. Dort treffen John Cage, Glenn Gould, Buckminster Fuller, Marshall MacLuhan und andere aufeinander. Seine Master Minds sind 'free spirits', sie haben sich ihre eigenen Welten gegen Widerstände entworfen, sie gelten als erfolgreich, prominent, umstritten. Sie arbeiten auf vielen kreativen Feldern gleichzeitig, zwischen den Stühlen.
Terkel, Schwartz und Jim Metzner kommen aus unterschiedlichen Generationen des amerikanischen Radios. 'Onto- und phylogenetisch'. Sie widerspiegeln Facetten in dessen Entwicklung und haben sich selbst mit dem Medium und der Gesellschaft ständig verändert. Terkel wird in diesem Jahr 85, Schwartz 75, Metzner ist in den vierzigern. Ihre Gemeinsamkeit ist der bemerkenswerte SOUND ihrer Programme, der sich von der 'Vielfalt ohne Überraschungen' des formatierten Spartenradios abhebt. 'Feeling tone' - Gefühlsausdruck und Erfahrung. Studs Terkel sucht in seinen tausenden von Interviews bei WFMT in Chicago die intensive Kommunikation im biographischen Erinnerungsgespräch, auch mit sich selbst. 'Talking to myself'.
Tony Schwartz arbeitet mit Wort-Design, der intensiven Klanggestaltung von normaler Sprache in Form sich überlagernder, verdichteter Botschaften. 'Mnemonic Speech', die den Hörer aktiv beteiligen will. Auch Geräusche und Musik sind für ihn Botschaften und Inhalte, in Werbung, Politik, Sozialkampagne, Kunst und Hochschule. Und Audio-Ecology, seine akustische Archäologie macht das Leben im New York von den 40er und 50er Jahren bis heute hörbar. Jim Metzner ist ein Meister der kurzen Form. Seine Klänge und ökologischen Hörreportagen berichten vom 'Puls des Planeten': wie klingt die städtische Welt heute, wie die Natur, wie Technik der Zukunft und Kulturen derWelt? 'Stories crafted from sound' - akustischer Inhalt und Form zugleich. Durch das Klangbild und die Kontinuität ihrer Produktionen gelten Studs Terkel, Tony Schwartz und Jim Metzner als erfolgreiche Außenseiter - sie haben sich eine Nische geschaffen, ihre persönliche Soundsignatur. Sie sind Handwerker und ihr Handwerk heißt auditive Kommunikation. Ihre Botschaft ist unterschiedlich, das Temperament verschieden, aber von individueller Kraft und sozialer Wirkung bestimmt. Terkel war immer gewerkschaftlich engagiert und wird von der Öffentlichkeit als der linksliberale Spezialist fur die Anantomie des Amerikanischen Traums wahrgenommen. Tony Schwartz ist der Medienguru der Klänge, ein intensiver Sammler von Musik und Stimme, aber auch der perfekte Stratege im Werbefeldzug für ein Produkt oder den Kandidaten. Im Kommunikationsgeschäft sorgt sein Gewissen dafür, daß er für und gegen die richtigen Dinge kämpft. Wenn ihm das öffentliche Verhalten eines Wahlkampfkandidaten nicht gefällt, dann bleibt er unbestechlich und ist durch nichts zur Mitarbeit an einer Kampagne zu gewinnen. Und seine Spots gegen das Rauchen, den Alkohol und für die öffentliche Sicherheit sind wahre Kreuzzuge eines Moralisten. Jim Metzner, die Radiostimme, der Schauspieler, der Klangbesessene, erzählt von der akustischen Umwelt, aus fremden Kulturen und der Naturforschung, von eigenartigen Kreativen und schillernden Figuren der Gegenwart. Im Online-Diskurs der Soundscaper uber das Ohr und das Hören steht er in vorderster Linie der Klangforscher und Klangökologen. Seine Arbeit mit kurzen Formen ist Journalismus mit und aus Sound, in zwei Minuten ein Training der Sinne und Plädoyer für eine Philosophie des Hörens - ein Luxus auf ökonomisch schwankendem Boden.Terkel, Schwartz und Metzner leben und verwirklichen sich mit und durch Klang, noch. Wahrend ein stromlinienformiges Radio schon lange glaubt auf Beiträge wie ihrer Qualität und Art verzichten zu können. Interessant bleibt die Frage,wieviel aus den US-Radio-Soundscapes für unsere Medienwelt güultig wird. Und was wir aus den individuellen Nischen gewinnen können, die zugleich Momente der Veränderung und des Widerstandes innehaben. Gerne sind wir Terkel, Schwartz und Jim Metzner für ihre geduldige Gesprächsbereitschaft verpflichtet, die immer wieder zu amüsanten Begegnungen und überraschenden Wendungen führte. Ich danke der Redaktion von MUK, Beate Otto, Reinhild Meinel und Karl Riha dafür, daß die Annäherung an solche 'schillernden' Gestalten aus mehreren Richtungen zugleich erfolgen konnte. Uli Tobinsky hat aus unserer gemeinsamen Film- und Radioarbeit uber Terkel, Schwartz und Jim Metzner noch eine - radikal subjektive - Klangerinnerung extrahiert, die zwischen den äußeren Bildern fündig wird. Der Feature-Redaktion von Gisela Corves im WDR-Hörfunk und von Christhard Burgmann im Fernsehen verdanken wir die klanglich aufregende Umsetzung der Portraits und dem WDR die Lizenzierung der Hör-Ausschnitte auf CD. Textbestände sind aus meinen Artikeln fur die 'Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte', Redaktion Walter Forst und Wolf Bierbach, wiederverwendet worden: recycling, editing, processing - so wie auch Sound immer neu aus früheren Erfahrungen entsteht. Mein akustisches Bild von Chicago ist durch Terkels Sendungen und Bücher gepragt, aber vor allem durch Zusammenarbeit mit George Drury. Der Literat, Dichter, Musikkenner und unser Scout durch die Stadt hat lange Jahre mit Terkel gearbeitet, als Redakteur und Archivar von dessen ständig wachsender Erinnerungsarbeit. Er hat uns in Blueslandschaften (Blues Walking - Trübsinn Wandern) und zu den Dichtern von Strong Coffee geführt, die die Stadt am See zu Textsoundscapes verdichten, in denen jeder Tonfall eine Abzweigung in die besondere Alltagskultur von Chicago erlaubt. Auf die Arbeit von Tony Schwartz in New York wies mich der Radiomacher und Sound-Designer Lou Giansante schon vor vielen Jahren hin. Susan Heskes, heute an der New School for Social Research, der Autor Richard Kostelanetz und der Schriftsteller Michael Dainard haben ihn dann in immer wieder anderen Facetten geschildert.
Jim Metzner hat viele Radiomacher in einem WDR-Seminar uber die Kunst der kurzen, aber intensiven Formen bestens unterhalten und angeregt. Für das Zustandekommen dieser Begegnung hat sich der Regisseur Detlev Ihnken sehr eingesetzt, und die Wissenschaftsredakteurin Dr. Ingrid Konig hat einige Themen vom 'Puls des Planeten' zusammen mit dem Studio fur Klangdesign in eine vielversprechende deutsche Version übertragen. Last not least - die Radioautorin Tanja Hemm unterstützte Jim Metzner bei den Nürnberger Radiotagen des BR; hier am Anfang der Texte entfaltet sie uns Amerikas Wortradio als weite Landschaft, aus der überraschende Blüten und Hör-Momente herauswachsen.
 

Für das Klang- und Textteam

Hans U. Werner

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